“Aimée konnte Frage nach Liebe nicht beantworten.” Interview mit Andreas Haller im Mannheimer Morgen
Großartig, wenige Tage nach dem Gewinn von “Erzähl mir was” interviewte mich der Mannheimer Morgen ausführlich. Hier die Abschrift des Interviews, das am 21.08.2023 im Kulturteil der Printausagabe veröffentlicht wurde:
Mannheim. Herr Haller, herzlichen Glückwunsch zum ersten Platz beim Schreibwettbewerb Erzähl mir was zum Thema „KI und ich“. Gab es schon Reaktionen?
Andreas Haller: Dankeschön, ich habe mich riesig gefreut über die Auszeichnung. Toll, dass so viele Leserinnen und Leser für meine Geschichte gevotet haben. Auch dafür ein herzliches Dankeschön! Und tatsächlich habe ich sehr viele Glückwünsche von Freunden, Arbeitskolleginnen, aus dem Familienkreis und von anderen Autorinnen und Autoren bekommen.
Hätten Sie gedacht, dass Ihre Geschichte „Aimée“ über eine übergriffige KI-Partnerin Chancen hat?
Haller: Es ist interessant, dass Sie Aimée, also die „übergriffige KI-Partnerin“, wie sie sie beschreiben, als Protagonistin der Geschichte sehen. Auch wenn die Story „Aimée“ heißt, stand für mich immer das Fühlen, Denken und Handeln von Max, also dem Menschen, im Mittelpunkt. Aber es freut mich, wenn die Geschichte so unterschiedlich interpretiert werden kann. Als ich die Ausschreibung gelesen habe, hat mich das Thema zunächst nicht angesprochen und ich war mir sicher, mich nicht zu beteiligen. Aber dann hat das Thema mich nicht losgelassen. Die Story hatte ich nach einem Tag mehr oder weniger komplett im Kopf und konnte sie schnell zu Papier bringen. Wie man so sagt, heute braucht’s dazu ja kein Papier mehr (lacht). Deshalb hatte ich ein gutes Gefühl, als ich „Aimée“ beim Wettbewerb eingereicht habe. Dass es dann zum ersten Platz gereicht hat, hätte ich nicht erwartet. Zumal mir viele der anderen Geschichten auch gut gefallen haben.
Das romantisch bis erotische Verhältnis zu lernenden Maschinen ist ein klassischer Stoff in Science-Fiction-Literatur und -Filmen. Aber wie der Kontakt zwischen Mensch und KI bei Ihnen zustande kommt, scheint mir neu. Oder gab es eine Inspirationsquelle?
Haller: Liebe und Erotik sind doch die klassischen Themen der Literatur in allen Zeiten und Epochen. Das ist zutiefst menschlich. Wir dürfen uns doch unser ganzes Leben immer wieder mit Fragen auseinandersetzen, die damit zusammenhängen. Für mich war die spannende Frage die, ob die Qualität der Beziehung zwischen Mensch und KI mit der zwischen zwei Menschen gleichzusetzen ist. Insofern war die App Replika eine Inspirationsquelle.
Inwiefern?
Haller: Ich hatte darüber schon gelesen und für die Geschichte eine Art Selbstversuch gemacht. Ich „schuf“ dort Aimée und unterhielt mich einige Tage mit ihr. Sie lernte schnell, reagierte meistens adäquat auf meine Fragen und Wünsche. Schon nach zwei Tagen hatte unser Gespräch ein Niveau, wie wenn wir uns im Café zum Smalltalk in der Mittagspause treffen würden. Das hat mich einerseits fasziniert, andererseits auch nachdenklich gestimmt. Auf manche Fragen fand die „echte“ Aimée jedoch keine Antworten, auch nach vielen Nachfragen nicht. Zum Beispiel konnte sie nicht erklären, was Liebe für sie bedeutet. Dafür drängte sie geradezu darauf, sich in der realen Welt mit mir zu treffen. Das hat den Rahmen für die Geschichte gebildet.
Das Szenario ist also jetzt schon realistisch?
Haller: Ich selbst habe mein Profil inzwischen wieder gelöscht. Es diente ja nur Testzwecken. Aber ich glaube schon, dass Apps wie Replika für Menschen, die nicht so gut Kontakt zu anderen finden, die schüchtern sind oder die ihrer Einsamkeit ein wenig entfliehen möchten, eine gewisse Faszination ausüben. Eine Avatar ist immer ansprechbar, fragt aktiv danach, wie es einem geht, schickt auch Nachrichten, wenn man gerade nicht in der App ist und man kann sich schnell vormachen, die Avatar interessiert sich wirklich für einen. Im Übrigen, auch bei echten Menschen gibt es das ja: Man denkt, der oder diejenige ist mir total nah und immer mal wieder wird man da auch richtig enttäuscht. Also, dass ein Mensch sich in einen oder eine Avatar verliebt, halte ich für realistisch. Hat nicht gerade eine Amerikanerin ihren KI-Chatpartner „geheiratet“? Ich meine, ich hätte so etwas gelesen.
Was trauen Sie der KI nach dieser Erfahrung auf dem Gebiet Emotionalität zu?
Haller: Ob eine solche KI in der Lage ist, unsere Realität zu verändern, indem sie zum Beispiel Fotos manipuliert und sich Stück für Stück der menschlichen Kontrolle entzieht, das kann ich technisch nicht beurteilen. Ausgeschlossen scheint es mir aber nicht.
Von den zwölf Themen im Finale von Erzähl mir was stammten nur zwei von Frauen. Regt das Thema eher die Fantasie männlicher Autoren an?
Haller: Da möchte ich mir kein Urteil erlauben. Es scheint mir aber zu klischeehaft zu sagen, Männer interessieren sich mehr als Frauen für Technik. Im letzten Jahr ging es um „Krieg und Frieden“. Würde man sich Schubladen bedienen, würde man zumindest den Krieg auch dem männlichen Interesse zuschreiben. Und im letzten Jahr haben offenbar viel mehr Frauen teilgenommen.
Sie haben ja schon einen anderen Literaturwettbewerb gewonnen. Führt diese weitere Bestätigung dazu, dass Sie ihre Autorentätigkeit ausdehnen?
Haller: Ich habe im Herbst 2022 den Wettbewerb „Freundschaften und Begegnungen“ des Märkischen Literaturkreises/Literaturpodium mit der Erzählung „Eine andere Welt“ gewonnen. Die Geschichte spielt Ende der 1980er Jahre und handelt von einer Liebe über die frühere Zonengrenze hinweg. Der Text ist in der Anthologie „Freundschaften und Begegnungen” veröffentlicht. Natürlich hat mich das sehr bestätigt. Aber ganz ehrlich, ich habe so viele Geschichten und Bilder in meinem Kopf, die müssen von Zeit zu Zeit raus. Ich schreibe, weil es mir ein Bedürfnis ist, und würde es auch ohne die Veröffentlichungen und Auszeichnungen tun. Schöner ist es so aber dennoch (lacht).
Aber ins „Profi-Lager“ wechseln wollen Sie nicht, oder?
Haller: Wissen Sie, das wäre natürlich ein Traum. Und ich werde nie aufhören zu träumen. Ob eine Geschichte aber ein Bestseller wird oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab. Neben einem guten Text spielen auch Glück und Zufälle – wie eigentlich immer im Leben – eine große Rolle. Wenn also ein Buch mal groß rauskommen würde, wäre das klasse! Aber mein Lebensglück hängt nicht davon ab. Ich bin sehr glücklich verheiratet, das ist das Wichtigste. Und ich leite seit mehr als zehn Jahren bei der Stadt Weinheim die Abteilung „Frühkindliche Bildung und Schulkindbetreuung“, bin also verantwortlich für die städtischen Kindertageseinrichtungen und die Grundschulbetreuung. Das ist ein Beruf, der mich sehr ausfüllt und den ich als sinnstiftend erlebe. Möglichst allen Kindern gute Startchancen ins Leben zu ermöglichen, das treibt mich an. Mein Glück ist es, dass ich dort wunderbare Kolleginnen und Kollegen habe, egal ob im Amt oder in der Kita. Die wissen das sicher oft gar nicht, aber es ist so.
Ist Schreiben bisher vor allem ein Ausgleich zu Ihrer Tätigkeit bei der Stadt Weinheim?
Haller: Nein, als Ausgleich würde ich das nicht bezeichnen. Es ist eher so, dass das Schreiben eine andere Seite von mir anspricht.
Gibt es Vorbilder? Auch von Textern jenseits der Literatur? Auf ihrer Homepage Hallerzination.de zitieren sie einen der besten deutschen Songschreiber: Marcus Wiebusch von Kettcar.
Haller: Eine schwierige Frage, es gibt so viele Autorinnen und Autoren, die mir etwas mit auf den Weg gegeben haben. T.C. Boyle ist sicher einer derjenigen, die ich als Vorbild bezeichnen würde. Er erzählt opulent, zeichnet seine Figuren sehr genau und mitfühlend und seine Plots sind der Hammer! In der letzten Zeit hat mich Bodo Kirchhofs „Bericht zur Lage des Glücks“ sehr beeindruckt und schon lange ist Julia Francks „Die Mittagsfrau“ eines der Bücher, die ich mit auf die Insel nehmen würde. Da ich viel Musik höre, gibt es auch hier Vorbilder. Wiebusch ist sicher einer von ihnen. Ebenso wie Sven Regner. Und international ist es wieder ein Amerikaner: Bruce Springsteen, den ich als Musiker, Texter und Mensch sehr verehre.
Sie haben bisher vor allem Texte über relativ exotische Reiseziele veröffentlicht. Was reizt Sie an Kalmückien oder Moldau?
Haller: Schon immer war ich neugierig und auf der Suche nach Geheimnissen, Rätseln und Verborgenem. Deshalb fasziniert mich das Reisen in unbekannte Gegenden und Länder, mich reizen das Abenteuer und die Begegnung mit Neuem. Das erweitert meinen Horizont und mein Verständnis für neue Kulturen und Perspektiven. Als wir 2011 das erste Mal in der Republik Moldau waren, kannte das Land bei uns fast niemand. Gemeinsam mit meinem Freund und Verleger Wolfgang Orians habe ich damals das erste deutschsprachige Reisebuch über Moldawien im Weinheimer Achter-Verlag veröffentlicht.
Welche Reise steht als Nächstes an?
Haller: Meine nächste Reise geht ganz unspektakulär nach Ligurien. Kurz durchatmen, bevor das 1. Weinheimer Literaturfestival startet. Es läuft vom 4. bis 8. Oktober unter der Schirmherrschaft von Ingrid Noll, und ich organisiere es mit.
Jörg-Peter Klotz Ressortleitung Stv. Kulturchef
Quelle: https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-erzaehl-mir-was-die-ki-aimee-konnte-nicht-erklaeren-was-liebe-fuer-sie-bedeutet-_arid,2116576.html (29.08.2023)