Rolle rückwärts mit Selbstzweifeln

In der ZEIT vom 30.01.2014 schrieben die Redakteure Marc Brost und Dr. Heinrich Wefing darüber, dass sie es nicht hinkriegen, ihre Karriere mit ihrem Familienleben zu vereinen. Schaut hier: Geht alles gar nicht

Mich hat das beschäftigt und ich fand deren Argumentation um den heißen Kinderbrei geschrieben. Die Redaktion der ZEIT  konnte sich “leider angesichts ungeheuer vieler anderer drängender Themen” nicht dazu durchringen, meine Replik zu veröffentlichen, schrieb Dr. Wefing. Nun ja, Karriere geht vor. Hier der Beitrag im Wortlaut (Kommentare gerne erwünscht):

Rakete

Rolle rückwärts mit Selbstzweifeln

Eine Replik auf den Beitrag „Geht alles gar nicht“ von Marc Brost und Heinrich Wefing (Die Zeit, 30.01.2014)

Die Autoren Marc Brost und Heinrich Wefing beteuern in ihrem Plädoyer für mehr Vereinbarkeit von Karriere und Familie (Die Zeit, 30.01.2014), dass sie mit ganzem Herzen Väter seien, ebenso aber ihrem Job leidenschaftlich gerne nachgehen. Indessen darf der Leser an ersterem mit Fug und Recht zweifeln. Bekommt man doch bei der Lektüre eher den Eindruck, hier wären zwei karriereorientierte Männer damit beschäftigt, zu begründen, warum sie den Karriereweg zu Lasten von Familie und Kinder gewählt haben. Die Autoren vermischen in leicht zu durchschauender Weise ihren Wunsch nach schneller, steiler Karriere sowie die damit verbundenen Strapazen und negativen Auswirkungen auf das Privatleben mit der Frage, wie sich Beruf und Familie miteinander vereinbaren lassen. Wer von sich behauptet, von ganzen Herzen Vater zu sein, aber zum Beispiel beim Fußballspiel permanent nach dem Smartphone schielt, sich den E-Mails vom Chef oder seiner nächsten Recherche anstatt seinem Kind zuwendet, hat seine Priorität klar gesetzt. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber die Autoren sollten wenigstens ehrlich sein und es genau so sagen: „Mein Job ist mir wichtiger als mein Kind und die Familie.“

Samstagmittag auf einem Bolzplatz in Mannheim: rund fünfzehn Väter (und einige Mütter), nahezu alle berufstätig in verschiedenen Branchen und auf unterschiedlichen Hierarchiestufen, kicken gemeinsam ihren Kindern. Es wird gelacht, verbissen gekämpft, gejubelt und gefeiert. Kein Klingelton stört das muntere Treiben. Es ist so einfach, denn es gibt einen Schalter, den die Autoren offenbar nicht kennen: den „Power-Off“-Schalter. Kaum gedrückt, erhält man eine oder mehrere ruhige und entspannte Stunden, in denen man all das tun kann, was man gerne tun möchte. Im Übrigen mit und ohne Kinder. Diese Väter kommen meiner Beobachtung nach sehr gut und stressfrei mit der Situation zurecht. Vielleicht haben sie sich vor der Geburt ihres Sohnes oder ihrer Tochter einmal ernsthaft damit auseinander gesetzt, welchen tiefgreifenden Veränderungen der Lebensrhythmus durch ein solches Ereignis unterworfen ist. Bei genauerem Nachdenken hätten Brost und Wefing auf die Idee kommen können, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf so zu interpretieren, dass das Berufsleben – zumindest für einige Zeit – familienfreundlich gestaltet werden kann. Haben sie sich allen Ernstes gewünscht, ganz Vater zu sein und gleichzeitig auf der journalistischen Karriereleiter ganz nach oben zu klettern? Glaubten sie tatsächlich, ihr Leben würde genauso weiter gehen wie bisher? Also von frühmorgens bis abends und gerne auch mal am Wochenende recherchieren, schreiben, redigieren, Quellen auswerten, Interviews führen bis zum nächsten Karriereschritt? Und: wer sollte sich um die Kinder kümmern, sie erziehen und auf ihrem Lebensweg begleiten? Eine Erzieherin in der Krippe oder doch die Mutter, die dann zuhause die vollen Windeln wechselt, dafür aber erleben kann, wie nach acht Wochen zum ersten Mal ein Lächeln über das Kindergesicht huscht.

Zur Erläuterung ihrer Gefühlslage zitieren die beiden die Schriftstellerin Julia Franck „Wenn ich schreibe, kann ich nicht mit meinen Kindern sein, und wenn ich mit meinen Kindern bin, kann ich nicht schreiben. Dieser Zwiespalt erzeugt eine enorm hohe Spannung, weil ich in beidem voller Hingabe lebe, beides ist Hingabe und Liebe.“ Aber die beiden Journalisten ziehen das falsche Resumée. Franck beschreibt, dass sie beides – Schreiben und mit den Kindern sein – mit voller Hingabe tut. Und gerade dies führt bei ihr dazu, „das Leben als ständiges Scheitern“ zu erleben. Die Autoren dagegen jammern auf hohem Niveau und erleben gerade diese Spannung nicht. Ihre Hingabe gilt dem Beruf, die Kinder erfahren diese Hingabe nicht, weil ständig das Handy klingelt und ein Artikel zu Ende geschrieben werden muss. Und das hat – da lassen die beiden keinen Zweifel – immer Priorität vor dem Kicken, Eisenbahn spielen und Kindergeburtstag feiern.

So weit so gut. Die beiden Autoren behaupten nun aber ohne jegliche Ironie, sie seien Vorreiter der Emanzipation: „Wir sind Pioniere, die erste Generation, die tatsächlich versucht, Gleichberechtigung zu leben. Was gehen mich die Kinder an, ich mach Karriere! – das ist für uns keine denkbare Haltung mehr.“ Genau so verhalten sie sich aber und greifen nun tief in die argumentative Trickkiste: Zwar könne die Konsequenz aus ihrer unbefriedigenden, männlichen Work-Life-Balance nicht ein Zurück in die Fünfziger sein. Aber irgendwie war früher doch alles besser: die Rollen klar verteilt, die Frau wusste, dass sie sich um Wäsche, Geschirr und den ganzen Weiberkram kümmern musste. Und nun das: Rollenerwartungen wandeln sich, auch von Männern wird dies heute erwartet. Und klar, theoretisch wissen Brost und Wefing auch, wo es langgeht, hauswirtschaftlich und beziehungsmäßig gesehen. Aber machen soll das dann schon die Frau, oder wie muss man diesen Satz verstehen: „Und dann? Hat man schon wieder keine Zeit, wenn die Kinder spielen wollen; liegt die schmutzige Wäsche herum; musste die Partnerin doch wieder einen Babysitter organisieren (…); war das Frühstück ein Reinfall, weil man nicht zugehört hatte, als die Ehefrau sagte, dass man den Namen ihrer Chefin schon wieder verwechselt habe. Und das mit dem Sex … ach, lassen wir das.“ Das mit dem Sex hätten die beiden auch bei Wolfgang Schmidbauer nachlesen können: „Die erotische Entfremdung nach der Geburt eines Kindes ist ebenso trivial wie in ihren Folgen oft herzzerreißend.“ (ZEIT Magazin 06/2014) Das aber nur am Rande.

Das Pioniertum der Journalisten besteht auch in der Folge darin, eine Begründung dafür zu liefern, warum ihnen gar keine andere Wahl blieb, als Beruf und Karriere vor die Familie zu stellen. Die Gesellschaft ist ja so schlecht – nicht genügend Kitas, Frauen gebären aus Unsicherheit über den weiteren Berufsweg spät oder gar nicht, Chefs haben kein Einsehen. Also wird die Rolle rückwärts eingeschlagen: zwar wissen sie, wie man bügelt und Wäsche wäscht, aber sie tun es nicht. Auf der Strecke bleiben vermutlich die Frauen, die dann – wie so häufig in unserer Gesellschaft – gar keine Chance haben, beruflich erfolgreich zu sein. Es muss sich ja jemand um den Haushalt und die Kids kümmern.

Die Autoren vertun hier eine Chance. Mit Recht hätten sie auf die vielen Missstände in unserer Gesellschaft hinweisen können und darauf, dass es bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch viel zu tun gibt. Beides lässt sich derzeit nur in Übereinstimmung bringen mit viel Glück und unter optimalen Bedingungen: Der Chef muss mitmachen (das tut der von Brost und Wefing offenbar nicht oder sie haben mit ihm darüber nicht gesprochen, dass es auch mal Auszeiten braucht, um entspannt Zeit mit den Kindern zu verbringen), die Krippe muss einen Platz frei und ausreichende Öffnungszeiten haben, mit der Lebensgefährtin braucht es eine Übereinkunft darüber, dass man beides will: Familie und Beruf. Die Liste ließe sich beliebig erweitern, doch darauf kommt es den Autoren nicht an.

Sie lamentieren stattdessen darüber, dass sie auch niemanden hätten um Rat fragen können, wie sich berufliche Ambitionen und Familienleben vereinbaren lassen. Das stimmt nicht. Spätestens seit 1968 und verstärkt seit den frühen 1980er Jahren gab und gibt es eine wachsende Zahl Frauen und Männer, die – mal mehr, mal weniger erfolgreich – versuchen, althergebrachte Rollenmuster aufzubrechen, anders zu leben und Kindererziehung und Berufsalltag gut miteinander zu verbinden. Ich selbst kenne zum Beispiel eine Professorin, deren Mann sich zuhause um die Kinder kümmert und dennoch voller Leidenschaft und erfolgreich Bücher schreibt. Ich kenne Männer, die ganz aus dem Berufsleben ausgestiegen sind und der Frau das Geldverdienen überlassen haben. Ich kenne Frauen und Männer, die beide in etwa gleich viel arbeiten, aber sich dennoch der Bedeutung von Privatleben und Familie bewusst sind.

Auch ihre eigenen Eltern hätten Brost und Wefing fragen können. Ein guter Freund berichtete kürzlich, dass sein Vater sein Leben lang hart malocht, Karriere gemacht habe bei einem großen deutschen Elektrokonzern. „Für mich spielt er heute kaum noch eine Rolle. Er war ja nie da, sondern auf Dienstreisen. Er kam, wenn überhaupt, immer erst nach Hause, wenn ich gerade ins Bett musste. Smartphones gab es da noch nicht. Dafür hat er einfach geschwiegen, egal, welche Frage man an ihn richtete“, so mein Freund.

Mein letzter Besuch eines Geburtsvorbereitungskurses liegt nun schon über achtzehn Jahre zurück. Ich erinnere mich gut an einen anderen werdenden Vater, der auf die Frage der Hebamme, was er mit Vaterschaft und Elternsein persönlich verbinde, antwortete: „Ich möchte meinem Sohn die große, weite Welt zeigen.“ Ich weiß nicht, ob dieser Wunsch Realität wurde. Für mich war dieser eine Satz eine Art Initialzündung: Genau dies wollte ich meinem eigenen Sohn bieten. Koste es, was es wolle. Und sei es die Karriere. Also arbeitete ich seit Mitte der 1990er Jahre nur selten Vollzeit, war zumeist um 16 Uhr derjenige, der den Junior aus der Kita abholte, nahm mir „kinderfrei“ für eine „Mutter-Kind-Kur“ (so hieß das damals noch, auch wenn der Vater die Kur antrat), für Arzt- und später Lehrergespräche. Wenn das Kind Grippe hatte und nicht die Krippe besuchen konnte, blieb ich zuhause, ging zum Kinderarzt, wechselte Windeln, tröstete, kochte das Mittagessen. Meine Arbeitgeber nahmen das als etwas Exotisches hin. Aber sie akzeptierten es und dafür bin ich dankbar. Meiner Karriere hat es sicher geschadet, dass ich dem Arbeitgeber nicht ohne Unterlass zur Verfügung stand. Ich habe es dennoch auch beruflich zu etwas gebracht, es hat nur etwas länger gedauert.

Die Autoren wollen die letzten Abenteurer auf der Jagd nach beruflicher Anerkennung, tollen Momenten mit ihren Ehefrauen und Kindern sein. Pioniere der Gleichberechtigung und Vorreiter für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In den Beschreibungen ihrer Lebenssituation ist jedoch vor allem ein lautstarkes, unzufriedenes Lamentieren über die eigene Situation hörbar und eine klar ausgesprochene Priorität für den Beruf und gegen die Beteiligung an der Kindererziehung erkennbar. Eine seriöse Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Defiziten bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf findet dagegen nicht statt. Ebenso keine persönliche Reflektion über eigene Handlungsmöglichkeiten, um die permanent als Stress empfundene Lebenssituation zu verbessern. Weder werden klassische Rollenmodelle hinterfragt, noch versuchen die beiden, ihren Chefs klarzumachen, dass sie auch mit einer reduzierten Arbeitszeit durchaus gute Arbeit leisten und sogar Führungsaufgaben übernehmen könnten. Sie könnten die alte Gewerkschaftsparole „Samstags gehört Papi mir“ aufgreifen, ihre Mobiltelefone, Computer und Tablets umweltschonend ausschalten und sich am Wochenende wenigstens zeitweise ganz ihren Kindern widmen. All dies und noch viel mehr könnten Brost und Wefing tun. Stattdessen agieren sie wie die meisten Männer: sie nehmen ein paar Monate Elternzeit (vermutlich gemeinsam mit der Frau, beide sind dann zuhause) und setzen anschließend ihren Berufsweg unverändert fort. Das ist in der Tat kein Zurück in die Fünfziger. Es ist – mit Verlaub – fast noch schlimmer. Die Autoren machen weiter wie ihre Väter (die sie nie danach gefragt haben, wie es ihnen ging), überlassen große Teile der Kindererziehung den Frauen und kokettieren zum Schutz mit ihrem schlechten Gewissen.

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