Literatur, Pastete und viele Tipps

Über das Schreib-Wochenende im schönen Elsass berichtete Stefan Dettlinger im “Mannheimer Morgen” unter der Überschrift Literatur, Pastete und viele Tipps am 16.11.2023 wie folgt:
 
Literatur, Pastete und viele Tipps
Von Stefan M. Dettlinger
Es regnet. Das ist nichts Neues. Es ist seit Tagen so. Doch hier ist es anders, denn hier, in der Pfistermühle, kommt zum Rauschen des Regens noch ein Rauschen hinzu: das Rauschen der Lauter, „de la Lauter“, wie das kleine Flüsschen hier genannt wird. In Wissembourg. Im Elsass. Und genau in dieses multiple Rauschen tritt er hinein. Es ist Andreas Haller. Haller ist durchnässt. Versteht sich. Seine Funktionskleidung klebt ihm am Leib. Er müsse erst mal duschen, sagt er
zur Begrüßung und weist darauf hin, dass er zumindest die letzten vierzig Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt hatte. Es ist ein Treffen von Literatur- und Schreibversessenen. Nicht nur Haller ist da, auch Johanna Basler und Ulrich Wellhöfer. Die eine, Basler, hat sich wie Haller beim letzten Schreibwettbewerb dieser Redaktion unter den Ersten platzieren können. Es ist das zweite Mal für sie. Der andere, Wellhöfer, ist Mannheimer Verleger. Und Gastgeber. Ihm gehört dieser
traumhafte Kulturort im elsässischen Wissembourg, wo die beiden „wundervolle Tage“ verbringen durften, wie Basler es ausdrückt. Und auch Haller ist begeistert. „Es war ein Geschenk, für ein Wochenende aus dem Alltag ausbrechen zu können und sich gemeinsam mit einer Autorin, einem Journalisten und einem Verleger über das Schreiben auszutauschen und eigene Projekte weiter zu entwickeln“, wird er fünfzig Stunden später gesagt haben.
Zeit fürs Schreiben
Auf dem Holztisch: Wildschweinpastete. Brot. Wein. Man plaudert. Über dies und das. Aber natürlich steht im Zentrum die Literatur, das Lesen und eigene Schreiben und wie man es an den Mann, die Frau bringen kann. Wellhöfer plaudert aus dem Nähkästchen. Er erläutert anhand von Studien, Fachartikeln und internen Verlagsunterlagen aktuelle Entwicklungen. Und: Er hat gekocht. Baeckeoffe gibt es, den traditionellen elsässischen Eintopf. „Wir hatten in gemütlicher Runde einen lebhaften Austausch zu kulturellen Themen“, so Basler, die im Nachklapp auch
findet: „Der Aufenthalt in der liebevoll renovierten Pfistermühle in Wissembourg war noch eine Steigerung zu letztem Jahr.“ Bislang hatten die Autorentreffen in Petersbach stattgefunden. Am zweiten Tag haben die Autoren Zeit für sich, was fast gleichbedeutend ist mit: Zeit fürs Schreiben. Basler und Haller arbeiten. Sie an Texten zu einer Publikation, er an einem Kinderroman, für den er bereits einen Vertrag in der Tasche hat. Es wird gezeigt, gelesen, gekürzt und lektoriert. Baslers Geschichte muss um ein Drittel kürzer werden, und Haller berichtet, wie er an einer Kurzgeschichte mit dem Arbeitstitel „im Fluss“ arbeitet. „Sie handelt von einem jungen Mann, dessen Leben in geordneten Bahnen verläuft. Nach dem Studium fand
er einen guten Job, der ihn ausfüllt, und als er eine Frau kennenlernt, scheint sein Leben im Fluss. Sie reden über eine gemeinsame Wohnung, sogar über Kinder. Doch dann beginnt sie eine Affäre mit seinem Chef, von dem er glaubte, er sei auch sein Freund.“ Mehr kann und will Haller nicht verraten. Natürlich. Zu all dem gibt es auch Feedback von Wellhöfer – und von den Autoren untereinander, schließlich ist man über die Literatur verwandt. Mit der verbleibenden Zeit wissen die Schreibfans auch noch Anderes anzufangen: Man macht eine Stadtbesichtigung. Sport. Natürlich geht Haller zwei Stunden radeln. Und abends gemeinsam mit Basler ins Restaurant:
Salat mit Fromage de chèvre, also Ziegenkäse, und – natürlich – Flammkuchen.
Erschreckende Markttendenzen Als Höhepunkt des Aufenthalts beschreiben aber beide dies: „Am späten Nachmittag durfte ich zum Abschluss den großartigen elsässischen Autor Pierre Kretz bei einer Lesung kennenlernen“, so Haller. Was er meint: die dreisprachige Veranstaltung mit dem Schriftsteller und dem Gitarristen Serge Rieger. „Kretz las aus seinen Büchern, auf Hochdeutsch wie auf Elsässisch und
Französisch“, bemerkt Basler am Ende, „die Texte regten an manchen Stellen zum Nachdenken an, ließen aber uns Zuhörer auch oft schmunzeln.“ Natürlich hat auch Kretz selbst etwas zu sagen: „Hier, in der Pfistermühle, spürt man sofort, dass Kultur, Begegnungen, Lesungen, Lieder zum Leben notwendig sind wie die Luft, das Wasser, die Sonne.“ In dem, was Wellhöfer Morgen des Tages bereits erzählt hatte, sieht Haller „spannende, aber auch erschreckende Tendenzen auf dem Buchmarkt“. Kleine, unabhängige Verlage würden es demnach „kaum noch schaffen, sich auf dem Markt zu halten“, sagt er, dabei finde er wichtig, solche Nischenverlage zu haben. Mit seiner Sorge spricht er hiervon: die Konzentration im Buchhandel. Hier weist Wellhöfer besonders darauf hin, es gehe längst nicht mehr nur um die Konzentration von Handelsmacht der Marktführer Amazon im Digitalen und Thalia im Stationären. Er beobachte, dass „diese marktdominierenden Akteure längst ihre Handelsmacht dafür einsetzen, nicht nur das Vertriebsangebot zu steuern, sondern massiv investieren, um das Angebot als Hersteller auf verschiedenen Ebenen zu gestalten“. Sozusagen „vom dominanten Händler zum Eigenproduzenten“, so Wellhöfer.
Tipps bei Autorenverträgen
Amazon sei längst selbst Verlag. Nicht nur digital. Und Thalia investiere derzeit – nach eigenen Angaben – mehr als 100 Millionen Euro in einen Logistik- und Produktionsstandort. „Hier werden in Zukunft Bücher direkt auf Nachfrage produziert“, erklärt Wellhöfer die Thalia-Vision. Vom Händler zum Produzenten hieße es bei den beiden Giganten also. „Was das aber für angehende Autoren, inhabergeführte Buchhandlungen und kleine und mittlere Verlage bedeutet?“, fragt er fast rhetorisch. Und antwortet selbst: „Jedenfalls nichts Gutes.“ Ärgerlich findet Wellhöfer, dass diesen marktdominierenden Entwicklungen kartellrechtlich offenbar nicht beizukommen und politisch kein Elan auszumachen sei, dem im Sinne einer Erhaltung und Förderung der diversen Anbieter und der Händlerstruktur entgegenzuwirken: „Eine vielfältige Kultur- und Literaturlandschaft und ein funktionierender Buchmarkt, der nicht nur kommerzgetrieben ist, ist aber ein wichtiger Baustein unserer vielfältigen und demokratischen Gesellschaft“, mahnt
Wellhöfer, der selbst einen Mannheimer Verlag besitzt. Aber zurück zum Positiven: Wellhöfer gibt viele praktische Tipps – etwa dazu, worauf bei Autorenverträgen zu achten sei: „Das ist eigentlich recht einfach: Es gibt einen allgemein anerkannten Branchenvertrag, der von fast allen nennenswerten Verlagen benutzt wird.“
Da gibt es am Ende nur noch eines: Haller packt seine Satteltaschen, schwingt sich aufs Fahrrad und fährt zum Bahnhof.
Beide, er und Basler, finden: Es war toll, sich für ein Wochenende ausschließlich der Literatur zu widmen. Alle verlassen die Pfistermühle. Nach und nach. Was bleibt, ist das kalte, regnerische Wetter. Und das endlose Rauschen der Lauter, die bisweilen wirkt, als wolle sie durch die Pfistermühle sprudeln.

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